Biographie

ÜBER CARL FRANKENSTEIN

Carl Frankenstein (1905-1990), Professor der Erziehungswissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem, Träger des Israel-Preises für Pädagogik (1966), ein Philosoph und Mann der Tat, Pädagoge und jungianischer Erzieher und Therapeut, stellte seine außergewöhnlichen Schlussfolgerungen über den Menschen in einer komplexen Theorie dar, die sich auf psychologische, philosophische und soziale Überlegungen gründet. Carl Frankensteins Theorie vom Menschen beschäftigt sich hauptsächlich mit der geistigen und seelischen Reaktionsfähigkeit des Menschen und seiner Anpassungsfähigkeit an die Umwelt. Frankenstein beschäftigte die grundsätzliche Frage, wie diese Fähigkeit entsteht, wodurch sie beeinflusst wird und wie sie die Entwicklung des Individuums beeinflusst. Frankenstein wollte in seinem pädagogischen und therapeutischen Werk die von ihm in seiner Lehre entwickelten Ideen umsetzen, um dem Individuum die Möglichkeit zu schaffen, das in ihm schlummernde Potential auszuschöpfen. Viele Jahre in Frankensteins Leben waren mit Ereignissen verflochten, welche die Grundlage sozialen und pädagogischen Wirkens in Israel errichteten, bildeten und gestalteten.

 

 

Seine Lebensgeschichte

 

 

Carl Frankenstein wurde 1905 in Berlin in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Er studierte Philosophie, Psychologie, Pädagogik und semitische Sprachen (wie Assyrisch und Hebräisch) an den Universitäten Berlin und Erlangen. Den Anreiz zum Studium der hebräischen Sprache erhielt er von seinem Freund und Lehrer Erwin Loewenson, Wissenschaftler und Philosph, der sein Leben der philosophischen Auslegung der Bibel in deutscher Sprache widmete. Frankenstein, der sein Hebräischstudium mit großem Eifer betrieb, erstellte für sich und seinen gelehrten Freund detaillierte, handgeschriebene Hilfswörterbücher mit dem biblischen Wortschatz in all seinen philologischen Ableitungen und semantischen Bedeutungen.

 

Noch in Berlin entwickelte sich eine Freundschaft zwischen dem jungen Frankenstein und Gershom Scholem, dem späteren berühmten Professor und Forscher der Kabbala. Scholem bot ihm sogar an, ihn als Assistent bei seiner Erforschung der Kabbala zu begleiten. Frankenstein schloss sich ihm nicht an, wählte jedoch für seine Promotion ein Thema, dass sich mit Philosophie in einem mystischen Kontext beschäftigte. Frankenstein erforschte die Philosphie Franz Joseph Molitors, der ein gläubiger Christ war und großes Interesse am Judentum hatte, besonders an der jüdischen Mystik. Dieses Interesse war von seiner Ambition motiviert, ein Gleichgewicht zwischen seinem Festhalten an der Kirche und dem metaphysischen Gehalt des Judentums zu finden. Molitor war sogar Lehrer an der 1804 gegründeten, ersten modernen jüdischen Schule in Frankfurt, und in dieser Hinsicht war er die erste Verkörperung der zentralen, für die Schriften Frankensteins so charakteristischen Figur des Erziehers, und gar seiner eigenen Gestalt und Persönlichkeit; der des von außen kommenden, aufopfernden Erziehers, der immer dazu bereit ist, den in Not Befindlichen zu helfen (dem Kind oder dem Migranten), dessen Vertrauen zu gewinnen und ihm in der unbekannten, oft prekären und sogar frustrierenden Realität seiner neuen Lebensumstände Beistand zu leisten.

 

Nach seiner Promotion zog Frankenstein es vor, sich im sozialen Bereich zu engagieren. Er entschloss sich zum Studium der Sozialarbeit und Psychologie an der Berliner Universität. Ein Freund seiner Kindheit, Erich Neumann, der Medizin studierte und ein seinem Lehrer sehr nahe stehender Schüler Carl Jungs war, führte ihn in die jungianische Lehre ein. Später, als Neumann nach Israel einwanderte (im Jahre 1946), unterzog sich Frankenstein bei ihm einer Analyse, in deren Verlauf Neumann die Träume seines Freundes an Jung nach Zürich schickte. Frankenstein wurde daraufhin in die Gesellschaft für analytische Psychologie aufgenommen und als jungianischer Therapeut anerkannt. Der jungianische Therapieansatz hatte entscheidenden Einfluss auch auf seine pädagogische Lehre.

 

1928, noch in Deutschland, betätigte sich Frankenstein in zwei Bereichen öffentlicher jüdischer Gemeindearbeit, in der Erziehung und in der Sozialarbeit. Er zählte zu den Gründern und ersten Lehrern der „Schule der Jüdischen Jugend“ in Berlin und leitete den „Hilfsverein für jüdische Künstler (Maler und Musiker) und Wissenschaftler“, welche sich in einer finanziellen Notlage befanden. Frankenstein organisierte Ausstellungen und Konzerte freiwillig auftretender, berühmter Amateurkünstler in Privathäusern, wie zum Beispiel mit Albert Einstein, der bei diesen Konzerten Geige spielte und der Frankenstein seitdem in enger Freundschaft verbunden blieb. (Beide trafen sich noch einige Male auch nach der Flucht Einsteins aus Deutschland. Einstein versuchte ihn zu überreden, ihn nach Princeton in die USA zu begleiten, was Frankenstein jedoch ablehnte. Am Vorabend der Gründung des Staates Israel 1948 trafen sich die Beiden zufällig wieder, als Frankenstein im Auftrag von Helferinnen der Hadassah-Organisation Milchpulver für Säuglinge besorgte. Bei dieser Gelegenheit bat ihn Einstein auch, seine Rede zu überarbeiten, die er anlässlich der Gründung des Staates Israels im Rahmen einer Zeremonie in New York halten sollte).

 

Frankenstein begann mit seiner Arbeit als staatlicher Sozialarbeiter, als sich in Deutschland die Wirtschaftskrise verschlimmerte. Als Hitler an die Macht kam, warnte ihn ein Arzt, einer seiner Kollegen, dass er unter dem Verdacht gesucht werde, den Kommunisten geholfen zu haben. Er legte ihm die Flucht nahe, und Frankenstein verliess Deutschland ganz plözlich, zwei Monate bevor er zum Leiter der Abteilung für Sozialdienste ernannt wurde. Er folgte zunächst seiner Schwester nach Paris und trat von dort seine erste Reise nach Erez Israel (Palästina) an. 1936 wanderte er nach Erez Israel ein und ließ sich dort nieder. In Israel ging er weiterhin der Tätigkeit nach, die er als seinen Lebenszweck und seine Mission betrachtete: die Pflege und Erziehung der Jugend.

Während der ersten Zeit in Jerusalem war Frankenstein freiwilling und in enger Zusammenarbeit mit Henrietta Szold in der pädagogischen Sozialarbeit tätig.

Danach arbeitete er als leitender Bewährungshelfer der Mandatsregierung, als Dozent an der Schule für Sozialarbeit in Jerusalem, zu deren Mitgründern Frankenstein zählte, und als Leiter des Szold Instituts, wo er die wissenschaftliche pädagogische Zeitschrift „Megamot“ (Tendenzen) gründete und herausgab.

 

Im Laufe der ersten Jahre seines Wirkens in Israel erforschte Frankenstein die Lage von Familien in Jerusalem, die sich in Notsituationen unterschiedlicher Art befanden (Armut, sozioökonomische Probleme und psychische Störungen). Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit bildeten die Grundlage für die theoretische Entwicklung und die praktische Umsetzung seiner pädagogisch-therapeutischen Lehre.

 

1947 schloss er sich dem Lehrkörper der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Hebräischen Universität in Jerusalem an, wo er als Dozent bis zu seiner Pensionierung tätig war; einige Jahre war er auch Leiter der Fakultät. Ebenso unterrichtete er in der Abteilung für Psychologie und in der Abteilung für Sozialarbeit. Während dieser Jahre entwickelte er seine Theorie weiter und bildete viele Generationen von Studenten in den Bereichen staatliche Erziehung, Sonderpädagogik, Psychologie and Sozialarbeit aus.

 

1966 wurde er für seinen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Erziehung in Israel mit dem Israel-Preis für Pädagogik ausgezeichnet.

 

 

 


 

 

Frankenstein formulierte eine Theorie der geistigen Entwicklung, auf deren Grundlage er mit großer Genauigkeit die verschiedenen Formen von der Norm abweichender psychologischer Phänomene beschrieb - seelische Störungen, Psychosen, Delinquenz und Notlagensymptome Heranwachsender. Ebenso ist es ihm in hervorragender Weise gelungen, relevante Heilungs- und Rehabilitationsmethoden für diese Kinder und Erwachsenen zu formulieren. Seine Erläuterungen und Ideen sind voll des Optimismus hinsichtlich des Erfolgs von Heilung und Rehabilitation, und die von ihm geprägten Begriffe sind eine wertvolle Bereicherung des Werkzeugs in den Händen von Pädagogen, Sozialarbeitern und Therapeuten.

 

Frankenstein wollte seine Lehre in der Prxis ausgeübt wissen. Er glaubte, dass es durch geeignete Unterrichtsmethoden, soziale Betreuung and Psychotherapie möglich sein würde, die verschiedenen Probleme der Kinder und ihrer Familien zu bewältigen, und ihnen eine bessere Zukunft zu sichern. Zu diesem Zweck wurde in den sechziger Jahren das Bildungsprojekt der weiterführenden Schule „Bei der Hebräischen Universität“ gegründet, im Rahmen dessen sein psycho-pädagogischer Ansatz des "rehabilitierenden Unterrichts" getestet und weiterentwickelt wurde. Infolge des Erfolgs dieses Projekts wurde in der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Hebäischen Universität ein Ausbildungslehrgang für Lehrer und Pädagogen im Geiste der Frankenstein'schen Lehre gegündet. Die Absolventen des Lehrgangs wendeten und wenden weiterhin seinen pädagogischen Ansatz in Schulen des ganzen Landes an.

 

Wie gesagt, beschäftigte sich Frankenstein nicht nur in der Theorie mit pädagogischen Themen, sondern "krempelte sich die Ärmel auf" und war auch in der Schule und im Klassenzimmer praktisch tätig. Die praktische Ausbildung von Lehrern und pädagogischen Betreuern, sowohl in der Gruppen- als auch in der Einzelarbeit, wurde zu seiner Hauptbeschäftigung.

 

Um den Lehrern bei ihrer Arbeit mit Schülern mit schwachem sozioökonomischen Hintergrund behilflich zu sein, wohnte Frankenstein vielen Unterrichtsstunden bei und beobachtete ihre Arbeit. Anschließend setzte er sich mit jedem Lehrer zusammen und analysierte gemeinsam mit ihm den Unterricht, Stärken und Schwächen. Besondere Auferksamkeit widmete Frankenstein der Denkweise der Schüler, der assoziativen Komponente dieses Denkens und der Art und Weise, wie der Lehrer den Schülern bei der Erkennung der emotionalen Ursprünge ihres Denkens behilflich sein konnte.

 

Viele Lehrer sind Frankenstein hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung zu großem Dank verpflichtet dafür, dass er ihnen die Fähigkeit vermittelt hat, den Schülern zuzuhören und ihre Denkfehler zu verstehen. Dies gilt im Übrigen generell für qualitativen Unterricht, nicht nur im Falle von Schülern mit schwachem sozioökonomischen Hintergrund.

 

Frankenstein setzte seine Arbeit auch nach der Beendigung des Projekts fort und übertrug die Methode auf eine Vielfalt von Lehrfächern für unterschiedliche Zielgruppen, auch in anderen Schulen. Darüber hinaus unterrichtete er Studenten der Sonderpädagogik am David Jellin Lehrerkolleg in Jerusalem. Es sei angemerkt, dass er all diese Tätigkeiten über viele Jahre bis zu seinem Tod freiwillig und mit großer Hingabe ausgeübt hat.

 

Frankenstein, der Pädagoge, Psychologe and Philosoph, betätigte sich auch in großem Umfang als Autor: Davon zeugen seine zahlreichen Bücher und Artikel auf Hebräisch, Englisch und Deutsch, die einen unverzichtbaren Schatz für das Verständnis seiner pädagogischen, psychologischen, philosophischen und geistigen Lehre bilden. Frankenstein entpuppte sich auch als einzigartiger Dichter, dessen poetische Schöpfungen in Hebräisch und Englisch veröffentlicht wurden. Er war ein vielseitiger Gelehrter mit einer breiten kulturellen Bildung auf allen Gebieten des Lebens.


 

 

1991 widmete Yehuda Amichai Carl Frankenstein ein Gedicht zu seinem Geburtstag.

 

Ein Mann am rechten Ort

Für Carl Frankenstein zu seinem Geburtstag

 

Dies ist ein stiller Ort, den es gut ist zu kennen

auf dem Weg hinunter nach Ein-Karem.

Und ein Mann, so schön und ruhig wie er.

Sein Antlitz wie aus edlem, geschliffenem Holz,

weiß er noch um des Urwalds wildes Wachstum.

Seine Augen, ruhig wie die Säule eines Thermometers,

doch innen lebhaft wie Quecksilber.

Ein Mensch gleich einer Gürtelschnalle, schliesst und bewahrt er, immer

in der Mitte in gleichem Abstand zu beiden Enden;

Vergangenheit und Zukunft.

Ein Mensch der sich wie Stufen der fortschwemmenden Kraft entgegenstellt.

Ihm gegenüber der Berg der Erinnerung

und darauf Wälder, die viel jünger sind als er.